Interview mit Sougwen Chung*
Constanze Zawadzky:
Wenn du zurückblickst auf deine Kindheit, was würdest du sagen, hat dich als Erstes fasziniert? Die Wissenschaft oder die Kunst?
Sougwen Chung:
Es ist interessant: Wenn dein Vater Musiker und deine Mutter Computerprogrammiererin ist und beide Chinesen sind, hat man schon sehr früh Zugang zu diesen Werkzeugen. Ich glaube nicht, dass ich diesen entscheidenden Moment hatte, in dem ich mich entscheiden musste. Die Bereiche waren für mich schon immer eins – es war wie Laufen oder Rennen. Ich bekam mein erstes Instrument, als ich drei war. Es war also sehr schwer, das zu trennen. Ich hatte aber diesen Moment des Staunens und der Neugier mit Computern und dem Internet, als kulturellem und kommunikativem Medium. Meine Faszination galt immer der Wissenschaft und der Kunst, aber auch der Frage, welche Rolle die Technologie dabei spielt und was sie für beide Disziplinen leisten kann. Es war die Technologie der Kunst und die Technologie der Wissenschaft, die für mich Hand in Hand gingen.
Constanze Zawadzky:
Ich erinnere mich, dass in deinen Videos immer Musik im Hintergrund läuft.. Komponierst du diese Musik, oder arbeitest du mit einem Komponisten zusammen?
Sougwen Chung:
Ich arbeite mit einem sehr engen Mitwirkenden und Freund von mir zusammen: Aquarian. Wir teilen einen Großteil des Geschmacks, der Einflüsse und auch unseres Hintergrunds – er ist ebenfalls ein chinesisch-kanadischer Künstler. Ich liebe es wirklich, diese Art von Klangsprache in den letzten zehn Jahren mit ihm aufgebaut zu haben. Ich habe das Gefühl, wir formen gegenseitig unsere Praktiken in der Art und Weise, wie wir gemeinsam über Klang und Kunst sprechen.
Constanze Zawadzky:
Kommen wir nun auf deine D.O.U.G.s. (Drawing Operations Unit Generation) zu sprechen: Es sind jetzt zehn Jahre vergangen, seit du damit angefangen hast. Wann hast du zum ersten Mal darüber nachgedacht, in Kollaboration mit Maschinen zu zeichnen, und was hat dich dazu angeregt, diesen Weg zu erkunden?
Sougwen Chung:
Ich bin wirklich fassungslos, dass es schon zehn Jahre sind, denn vieles von dem, was mich damals inspiriert hat, motiviert mich heute noch. Für mich geht es wirklich darum, das Zeichnen zu erforschen. Und was Zeichnen für mich bedeutet, ist Bewegung. Es ist eine Art Ausdrucksfreiheit, eine nonverbale Kommunikation, eine Möglichkeit, die Zeit zu messen. Ich wollte das erweitern: von der Zwei-Dimensionalität des Bildschirms in die Körperlichkeit des Performance-Raums zu wechseln. Bis heute versuche ich, die Zukunft des Zeichnens und die Zukunft der menschlichen Hand voranzutreiben. Ich sehe das Zeichnen als eine andere Art von Bewegungsintelligenz und physischer Intelligenz. Wenn das mit computergestützter Intelligenz verschmilzt, hat es mich dazu gebracht, anders über alle anderen Kategorien jenseits des Zeichnens nachzudenken. In den Anfängen ging es sehr stark um die Schönheit der nicht-menschlichen Bewegung.
Constanze Zawadzky:
Erstaunlich! Gerade, jetzt, da du das gesagt hast…Ich erinnere mich nicht an dein korrektes Zitat, aber dass Zeichnen verkörpertes Wissen und verkörperte Bewegung ist – ich finde das so interessant. Würdest du sagen, dass ein Maler oder ein Künstler in seinem Körper die Art und Weise hat, wie er malt?
Sougwen Chung:
Das ist eines meiner Lieblingsthemen am Zeichnen und an dieser Art von Signatur. Für mich hat es fast ein Element der Unsterblichkeit und gleichzeitig der unterbewussten Kommunikation, weil es wie eine Art Fingerabdruck ist, den man manifestiert. Das liebe ich an meiner eigenen Wertschätzung von Kunst. Man kann eine unbewusste Entwicklungsweise einer Person und ihrer Perspektive erkennen, was ich unendlich faszinierend finde. Es ist anders als Worte, es ist anders als Fotografie – es ist eine eigene Sprache.
Constanze Zawadzky:
Deine Arbeit dreht sich um die kreative Kollaboration zwischen Mensch und Maschine. Kannst du uns einen Einblick geben, wie dieser künstlerische Prozess mit einem Robotersystem aussieht?
Sougwen Chung:
Liebend gerne! Für mich ist der künstlerische Prozess eine Evolution und Ko-Evolution. Das Drawing Operations Unit Generation Projekt ist heute sehr anders als 2015, und ich bin es auch. Es war sehr interessant zu sehen, wie tief diese Ko-Evolution geht: Meine Vertrautheit mit Technologie hat sich stark entwickelt, meine Vorstellung von Künstlicher Intelligenz hat sich stark erweitert, und meine Bereitschaft, mich als Performerin und Malerin auf Abenteuer und Unsicherheit einzulassen, hat sich stark verändert. Es ist eine sehr iterative und sehr verbundene Entwicklung, die stark von der Neugier auf Technologie angetrieben wird, und davon, Systeme kennenzulernen und darauf zu reagieren.
Constanze Zawadzky:
Du hast gesagt, dass dein Wissen über KI sich in dieser Zeit entwickelt hat. Wie würdest du sagen, kann ein KI-System uns helfen, die Herausforderungen dieser Technologie zu verstehen, oder wie kann Kunst uns helfen, die Herausforderungen dieser Technologie zu verstehen?
Sougwen Chung:
Ich liebe diese Frage, weil ich diese Inversion schätze. Ich glaube fest daran, dass die Kunst und der Kultursektor viel zu zeigen und zu offenbaren haben, sowohl über die menschliche Verfassung als auch über Technologie. Ich habe gelernt, wie man Systeme baut, indem ich Systeme baue, die von meinen eigenen Daten angetrieben werden. Die Kunstpraxis als Grundlage für die Entwicklung der neuen Generationen gibt mir ein klares Gefühl von Sinnhaftigkeit in einem ansonsten sehr gesättigten Feld. Wenn man das Gefühl hat, man könnte alles tun, wie trifft man dann die Entscheidungen? Wie trifft man diese Entscheidungen ethisch? Wie trifft man sie kreativ? Die Kunst erdet in einem spezifischen und humanistischen Standpunkt, der wesentlich ist. Schon die früheste Malerei ist ein sensorischer Apparat. Warum sollte man das nicht als Schatzkammer nutzen, um Technologie zu gestalten?
Constanze Zawadzky:
Du hast auch Bio-Feedback erwähnt und in deiner neuesten Arbeit nutzt du dies. Kannst du uns erklären, was dich an der Verwendung persönlicher Daten interessiert?
Sougwen Chung:
Der Bereich der persönlichen Daten war eine Abkehr von dem, was vorher kam. Früher arbeiteten wir viel mit Bewegung. Mit Bio-Feedback geht es um die Bewegung von etwas Unsichtbarem. Ich dachte: Wie kann dieses Biosensing etwas verändern, das ich vertiefen möchte – anstatt nur die Herzfrequenz zu visualisieren? Das wurde faszinierend: über das Zeichnen als Meditation und als Biosignal nachzudenken, als etwas, bei dem es nicht um die Technologie, sondern um das Ergebnis geht: verbesserte Meditation und eine andere Art der Verkörperung(embodiment) durch Robotersysteme. Die Entmaterialisierung dieser Disziplin ist der Punkt, an dem ich mich gerade befinde.
Constanze Zawadzky:
Du sagst, du glaubst nicht an die Dualität der Maschine als künstlich und des Menschen als natürlich. Das habe ich auch in deinem Buch gelesen. Welche Gefahr siehst du also in dieser Trennung von Mensch und Maschine?
Sougwen Chung:
Es ist eine interessante kartesische Dualität. Ich denke, diese Trennung ist letztendlich reduzierend, da sie beide Kategorien weniger interessant macht. Das Natürliche und das Künstliche sind sehr eng miteinander verwoben. Diese Unterscheidung lässt auch den Anspruch entstehen, dass Maschinen keine Erweiterungen des menschlichen Willens sind. Wenn man diese Art von Verbindung zum Menschlichen aufgibt, ist das nicht nur fehlerhaft, es ist einschränkend. Ich denke, die Wahrheit ist viel interessanter und pluralistischer.
Constanze Zawadzky:
Deine Ausstellung hier bei IPAI besteht aus einem Film und einer Installation mit Skulpturen. Das ist deine neueste Arbeit. Könntest du uns freundlicherweise deine Installation in deinen eigenen Worten erklären und was wir in deinen Filmen hier sehen?
Sougwen Chung:
Ein großer Teil dessen, was ich in dieser Ko-Kreation mit maschinellen Einheiten erforsche, dreht sich um die Vermischung von Gesten. Was mich an dieser neuen Arbeit begeistert, ist, dass sie eine Erweiterung des Zeichnens in drei Dimensionen ist. Es ist eine Erweiterung des Zeichnens als offene Choreografie des Empfindens und der Bedeutung, die skulptural ist. Dies sind die ersten Prototypen eines Modells, das ich auf einem Jahrzehnt an 3D-Daten aufgebaut habe, um einen verkörperten Ko-Kreativprozess mit Maschinensystemen zu ermöglichen. Es fordert die KI heraus, räumlich zu arbeiten und kehrt zurück in die Verräumlichung (spatiality). Die Bildschirm-basierte Rückmeldung in der KI ist begrenzt. Wenn wir die KI in andere Robotersysteme integrieren, können wir ein ganz neues Terrain erkunden. Das ist dieses neue Terrain für mich.
Constanze Zawadzky:
Und zuletzt, was sind die neuesten Entwicklungen in deiner Arbeit und was begeistert dich am meisten in den nächsten paar Monaten und vielleicht in der nahen Zukunft?
Sougwen Chung:
Ich freue mich auf die Eröffnung heute Abend und auf ein Symposium mit dem Guggenheim Ende Oktober, wo ich meine neuesten Forschungen über organische Berechnung, Seidenraupen-Schaltkreise und verschiedene Arten von verkörperter Robotik (embodied robotics) vorstellen werde. All dies kreist um die Symbiose zwischen Mensch und Maschine. Nach diesem Event werden wir ein neues Forschungswerk aufbauen, das wir hier ausgesät haben, und das wir in der nächsten Zeit erweitern werden. Es ist viel zu erkunden und viel zu hinterfragen.
*transkribiert & übersetzt